Sonntag, 22. April 2007

Zwischenzeit

Mich versetzen die Übergänge - die Brücken zwischen den Jahreszeiten - immer wieder in Erstaunen. In diesen Grauzonen zwischen den Vier sind die Spielregeln außer Kraft gesetzt und man ist immer wieder entzückt über die Erwartungshaltung der Leute. Besonders ausgeprägt ist diese Sehnsucht wenn die Tage wieder wärmer werden und jeder beginnt, sich aus der Winterstarre zu befreien.
Man muss am Müllhof länger warten, weil er durch das Ausmöhlen der Befreier total überfüllt ist. Mit diesem Frühjahrsputz will man sich seiner Altlasten entledigen, den Staub und Mief des Winters mit Zitronenduft wegwischen. Die Zahl der laufenden Bevölkerung prägt wieder verstärkt das Straßenbild. Natürlich darf das eigene Körperbild nicht hinter dem der Wohnung zurückstehen.
Besonders schön zu beobachten ist die Zwiebelkleidung. Bei 3 Grad am Morgen fährt man mit Unterhemd, T-Shirt, Sweatshirt, Pullover und Mantel zur Arbeit, trägt Schal und manchmal auch Mütze. Im Laufe des Tages schält man sich allmählich aus seinen Schichten heraus und erlebt am Nachmittag bei 18 Grad glücklich einen ersten Vorgeschmack auf den Sommer. Sonne und blau verführen und so verwundert es nicht, dass die Ersten mit nackten Füßen in offenen Schlappen herumlaufen. Aber es ist doch auch zu schön!
Entlang der Karl Marx Allee entdeckt man dieser Tage verschiedene violett-, rosa-, und lavendelfarbene Sträucher, die eingebettet werden von weißen und gelben Tönen. Ich habe mich an mindestens 7 Farben erfreut. Das erinnert nicht an eine der befahrensten Zufahrtsstraßen Berlins, sondern an einen Nachmittag im Humboldthain, der beginnt zu blühen. Der Rhododendron kokettiert mit seiner prallen Schönheit und die dicken Knospen lassen erahnen was er vorhat. Alles will er mit Farben beleben. Hoffnungsglück!
Die Sonne scheint und nur der kalte Wind erinnert daran, dass wir uns in der Zwischenzeit befinden. Dieses Jahr begann sie am 09 März.

Mittwoch, 28. März 2007

Ankes Lied

I
ch wollte eigentlich nie einen Blog schreiben, der wie in einem Tagebuch über private Dinge berichtet und sich über persönliche Befindlichkeiten auslässt. Aber manchmal sind es eben diese Momente, die einen berühren und über die man auch Tage später noch nachdenkt. Als ich mich mit Anke letzten Freitag im Übereck getroffen habe, hat mich das gefreut, weil es spontan war. Denn eigentlich wollte ich wegen meiner Kopfschmerzen lieber schlafen gehen. Mit Anke ist das ganz komisch. Ich habe sie in all den Jahren noch nie wirklich traurig erlebt wenn wir zusammen waren. Sie war immer eine Frohnatur, obwohl sie sicher Gründe hatte um traurig zu sein. An diesem Abend war es auch so. Wir lachten viel, ihre Mimik ist grandios und ihre Geschichten lebendig. Ich schaue sie gerne an, denn ihr Gesicht strahlt ein Wohlgefühl aus- ist aufmerksam und warmherzig gleichermaßen. Sie kann toll zuhören und stellt immer die richtigen Fragen. Aber was mich an diesem Abend vielmehr fasziniert hat, war ihre unglaubliche Offenheit. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der mit dem Thema Trauer ehrlicher, reflektierter und bewusster umgegangen ist. Es war ein komisches Gefühl gleichzeitig zu lachen und zu weinen. Vor allem weil man diese Anke kaum kannte. Aber vielleicht ist es auch ein Trugschluss und ich habe sie viel öfter traurig erlebt, als ich dachte. Manchmal haben Emotionen eben unterschiedliche Ventile. Eines ist mit Sicherheit Selbstironie und Humor.


Oft wird über Musiker gesagt, dass ihre Musik mit schwierigen Situationen in ihrem Leben zusammenhängen, die sie in ihren Songs verarbeiten. Ich bin Zeuge dieser Entwicklung geworden und hoffe, dass diesem ersten Song viele weitere folgen werden und Ankes Musik viele Leute hören werden. Aber egal was passiert, ich werde nie diesen Moment vergessen, als das Telefon klingelte und Anke mir am Klavier ihren Song das erste Mal vorspielte. Ich habe auf meinem Bett gesessen und geweint. Es ist schon komisch, dass sie das jedes Mal schafft, mein Herz so zu berühren. Ich hoffe auf mehr Liveauftritte dieser kleinen großen Lady...

Montag, 19. März 2007

Du hättest auch taub-stumm sein können

Mit dieser Erkenntnis konfrontierte mich meine Oma und erklärte mir, dass 4 von 12 Geschwistern ihrer Mama an dieser Krankheit litten. Im Gespräch stellte sich heraus, dass drei Kinder auf die Taub-Stummenschule in Weimar gingen. Obwohl die Familie kaum Geld hatte und neben den Schulgebühren alle gut gekleidet sein mussten, genossen Emma, Wilhelm und Oscar zu Beginn des 20 Jahrhunderts eine gute Ausbildung. Wilhelm ist Tischler geworden und war spezialisiert auf Treppenbau. Oscar hat Schuster gelernt und Emma arbeitete als Porzellanmalerin. Erna -die Vierte- ist in den Wald gegangen und war im Forst beschäftigt. Ich war erstaunt, dass bereits vor 100 Jahren Taubstumme in dieser Form gefördert wurden und so in die Gesellschaft integriert waren. Als meine Oma von damals erzählte, wirkte es so viel einfacher sich zu entscheiden, was man arbeiten wollte. Es gab eine brauchbare Berufsauswahl und das Handwerk dominierte. Die menschliche Fertigkeit, etwas mit den Händen zu erschaffen war gefragt. Die Zeit schien überschaubarer. Zum Schluss erklärte mir meine Oma, dass ich wahrscheinlich keine Angst haben müsste, dass sich diese Krankheit auf meine Kinder übertragen könnte. Der Grund der Taubstummheit ihrer Tanten und Onkels lag wohl eher in der medizinischen Rückständigkeit der damaligen Zeit begründet.

Samstag, 17. März 2007

Naturtalent

Eine Gruppe im Studi VZ heißt "Lernen heißt seinem Naturtalent zu misstrauen". Auch wenn dieses Statement sicher eine Hommage an chilliges Rumgammeln am See während der Klausurenphase ist, bedeutet es für mich noch etwas anderes. Naturtalent-Was bedeutet das eigentlich? Ich würde nie sagen: "Ich habe ein Talent fürs Schreiben". Es ist vielmehr ein Interesse. Ob man nun besonders gut darin ist oder nicht spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass man sich wohl fühlt mit dem was man tut. Ich beneide Menschen, die immer genau wissen, was sie können und was sie machen möchten. Ich wusste es nie und habe mich treiben lassen. Ich habe studiert, was sich gut angehört hat und habe damit einen Job gefunden der interessant ist. Doch geistige Zufriedenheit stellt sich bei mir mehr ein, wenn ich lese und mich darüber austausche. Deshalb tut es gut, diesem Interesse nachzugehen und dem was man tut zu vertrauen. "Lernen heißt seinem Naturtalent zu misstrauen" bedeutet also auch, dass man sich traut, seine Kraft für die Dinge einzusetzen, die einem am Herzen liegen.